Leben und Schreiben für den Pietisnius: So charakterisiert der Autor die unermüdlichen Aktivitäten des pietistischen Ehepaares Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Petersen. Der konkrete Fall dieser herausragenden Gestalten des radikalen Pietismus gibt Einblick in das komplexe Konfliktfeld zwischen luthenscher Orthodoxie und Pietismus an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Ihr offensives Auftreten forderte die Kritik der orthodoxen Gegner geradezu heraus: Geistliche wie Valentin Ernst Löscher, August Pfeiffer und Johann Heinrich Feustking traten in polemischen Traktaten den Sonderlehren der Petersens entgegen und wehrten sich gegen die kirchenpolitische Schwächung der lutherischen "Amtskirche". Im Zentrum der Darstellung stehen die Kontroversen um Exegese, Geschichtstheologie, die Haltung zu den Juden und die gesellschaftliche Stellung religiös ,erweckte?' Frauen. Dabei wird deutlich, daß es sich nicht um "Theologengezänk" handelte, sondern daß die Auseinandersetzungen weite Kreise der Bevölkerung betrafen.
Johann Wilhelm Petersen (1649-1726) studierte in Gießen und Rostock evangelische Theologie und Philosophie. Konflikte mit der kirchlichen, städtischen und fürstlichen Obrigkeit aufgrund seines kämpferischen Eintretens für Sonderlehren wie den Chiliasmus oder die Allversöhnungslehre führten zu seiner Amtsenthebung als Superintendent in Lüneburg. Zuvor hatte er Predigerstellen in Lübeck, Hannover und Eutin innegehabt. Seine Frau Johanna Eleonora (1644-1724) trat als starke Persönlichkeit hervor, die ihr Christsein stets missionarisch verstand. Sie vertrat ihre mystischen Sonderlehren ohne Rücksicht auf die für Frauen ihrer Zeit geltenden Konventionen. Mit ihren Publikationen erregte sie bei Freund und Feind Aufsehen und trug auch dazu bei, der kirchlichen Karriere ihres Mannes ein Ende zu bereiten. Beim Berliner Hof stießen die Sonderlehren der Petersens auf reges Interesse. Im Bemühen, die mit agrarischem Ständetum verflochtene lutherische Orthodoxie zu schwächen, unterstützte man das Ehepaar nach Petersens Amtsenthebung großzügig. So konnten sie über drei Jahrzehnte eine fast unbegrenzte Publikationstätigkeit entfalten und ausgedehnte Reisen unternehmen. Die Aufmerksamkeit von Exponenten der Aufklärung wie Christian Thomasius und Leibniz, die sich in zeitweiliger Koalition mit dem Pietismus befanden, forderte den Ruf der Petersens.
aus: Werbetext des Verlages
Pietismus und Neuzeit, Band 22, 1966, Seite 252-253
Zeitschrift für niedersächsische Kirchengeschichte, Hannover 1996, S. 311-313
INHALT
Vorwort
1. Einführung
1.1. Das Phänomen des Pietismus-Forschungslage und -ansätze
1.2. Chiliasmus - Begriff, Geschichte, Literatur
12.1. Zum Chiliasmus-Begriff
1.2.2. Der Chiliasmus in der Kirchengeschichte
12.2.1. Frühe Kirche und Augustinus
12.2.2. Luther
1.2.23. Die lutherische Orthodoxie
1.2.2.4. Neue Akzente in der Eschatologie
1.2.2.5. Die "chiliastische Welle"
1.2.2.6. Philipp Jakob Spener und die "eschatologische Wende" des Pietismus
1.2.3. Der Chiliasmus in der Forschung
1.3. Literatur über das Ehepaar Petersen
2. "Tu eris filius pacis" - Zur Biographie des Johann Wilhelm Petersen bis zu seiner Amtsenthebung 1689
2.1. Studium und Einflüsse
2.2. Bekanntschaft mit Philipp Jakob Spener
2.3. Berufsleben und "Berufung" des Johann Wilhelm Petersen
2.4. Eutin und die Hinwendung zum Chiliasmus
2.5. Lüneburg
2.5.1. Begegnung mit "der Warheit Kind" -Rosamunde Juliane von der Asseburg
2.5.2. Petersens Absetzung
3. Eine "kündlich-Gottselige Matron" - Johanna Eleonora Petersen, geborene von und zu Merlau
3.1. Autobiographie
3.2. Veröffentlichungen
3.2.1. "Hertzens-Gespräche mit Gott"
3.2.2. Anleitung' zur Apokalypse-Auslegung
3.2.3. Irenik
3.3. "Ob die Weiber auch öffentlich lehren dürffen" - Gottfried Arnold
3.4. "Einfalt ist keine Frömmigkeit" - Johann Heinrich Feustking
3.5. Zusammenfassung
4. Aufnahme der Petersens in Brandenburg-Preußen
4.1. Auf der Suche nach Schutz
4.2. Petersens Selbstinterpretation seiner Absetzung
4.3. Religionspolitik in Brandenburg-Preußen
4.4. Der Berliner Hof
4.5. Petersen und die Obrigkeit
4.6. Petersen in Magdeburg
4.7. Reisen des Ehepaares
5. Johann Wilhelm Petersens Publikationen
5.1. Streitschriften
5.2. Lehrschriften
5.3. Exegetische Arbeiten
6. Hamburger Streitigkeiten
6.1. Der "Pasquillenkrieg"
6.2. Petersen und die Auseinandersetzungen in Hamburg
7. Konflikte mit der Orthodoxie um den Chiliasmus
7.1. Kontroversen mit August Pfeiffer
7.1.1. Streit um die Grundsätze der Schriftauslegung
7.1.1.1. Spiritualistisches Schriftverständnis
7.1.1.2. Typologische Methode
7.1.1.3. Offenbarungsökonomien
7.1.1.4. Die loci classici und ihre Deutung
7.1.1.5. "Das sind teutsche klahre Worte."
7.1.1.6. Der Stil der Auseinandersetzung
7.1.2. Traditionsgeschichte des Chiliasmus
7.1.3. Bekenntnisschriften
7.1.3.1. Petersens Gegenpositionen
7.1.3.2. Die Obrigkeit
7.2. Kontroversen mit Johann Heinrich Feustking
7.3. Kontroversen mit Valentin Ernst Löscher
73.1. Die Dissertation
73.2. Die Schrift "Timotheus Verinus"
7.3.3. Die "Unschuldigen Nachrichten"
7.4. Zusammenfassung
7.4.1. Petersens Position
7.4.2. Irenische Bemühungen
7.4.3. Die "Greul der Verwüstung befördert" - Die Orthodoxie in der Defensive
8. Die Lehre von der "Wiederbringung aller Dinge"
8.1. "Er hasse nichts was er gemacht / sondern liebe alles" - Das Gottesbild
8.1.1. Wider die "knechtische Furcht"
8.1.2. "Denke an die große Seeligkeit" - Die Warnung vor den "falschen" Konsequenzen
8.2. "Die streitige Meynung der Partheyen"
8.3. Die orthodoxen Gegner
8.4. Petersens Antwort
8.5. Kritik der Kritik
8.6. ,Die öffentliche Scheidung" vermieden - Petersens Verhältnis zu Halle und Philipp Jakob Spener
8.7. Zusammenfassung
9. Die Schlesischen Betkinder
9.1. Die konfessionelle Lage in Schlesien
9.2. Die Altranstädter Konvention
9.3. Die ,Betenden Kinder"
9.4. ,Die Thränen aus den Augen gepresset" - Petersens Interpretation
9.5. Caspar Neumanns Position
9.6. Zusammenfassung
10. Der Pietismus und die Juden
10.1. Die Bekehrung der Juden
10.2. Predigt in der Synagoge
10.3. Kabbala
10.4. Moses Germanum - Der Konvertit Johann Peter Spaeth und die Kabbala
10.5. "Hätte er anstatt solcher Worte. auff Knien ein gebet gethan." - Die Kontroverse zwischen Johann Wilhelm Petersen und August Pfeiffer
10.6. Die "Unschuldigen Nachrichten"
10.7. Zusammenfassung
11. Schlußbemerkungen
12. Bibliographie
12.1. Quellenverzeichnis
12.2. Sekundärliteratur
12.2.1. Monographien und Beiträge in Sammelbänden
12.2.2. Zeitschriftenbeiträge
12.2.3. Lexikon-Artikel