Die drei Studien dieses Bandes handeln von der Herausbildung und Durchsetzung sprachwissenschaftlicher Leitideen in drei sehr unterschiedlichen Epochen: Während der Aufklärung im 18. Jahrhundert, in der Weimarer Republik und den Jahren des Nationalsozialismus und schließlich in der Gegenwart. Die fachlichen Kommunikationsgemeinschaften, in denen sich die Sprachauffassungen durchsetzen mussten, waren zu diesen Zeiten höchst unterschiedlich. Im Denken der Aufklärung ist Sprache das Schlüsselthema. Aus heutiger Sicht imponiert die Sprachauffassung des 18. Jahrhunderts durch ihre Aspektvielfalt. Sie entfaltet sich an den Schnittstellen von Kultur, Gesellschaft und Erkenntnis als Ressource einer Bildungsschicht, die außer Sprache keinerlei andere Machtressourcen hat. In der Weimarer Republik ist es das krisenhafte Ende der Tradition einer überwiegend deutschen Sprachwissenschaft, was die Debatten um die Sprachauffassung bestimmt und völkisch umprägt. Der wachsende Einfluss evolutionistischer Leitideen in der Sprachwissenschaft der Gegenwart ist dagegen ein fächerübergreifendes Phänomen. Wir finden ihn ganz ähnlich in fast allen Wissenschaften vom Menschen.
Clemens Knobloch, geboren 1951; Studium der Kommunikationswissenschaft in Bonn und Essen; Habilitation 1987 am Fachbereich Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften der Universität Siegen; seit 1991 in Siegen Professur in der germanistischen Linguistik; Arbeitsschwerpunkte: Geschichte der Sprachwissenschaft, öffentliche und politische Kommunikation, Grammatik der deutschen Gegenwartssprache.
Inhalt: Sprachauffassung und Sprachphilosophie der Aufklärung ¿ Vom Antipositivismus zum «volkhaften Sprachbegriff» ¿ Sprachwissenschaft in Deutschland vor und nach 1933 ¿ Linguistischer Neoevolutionismus - eine Problemskizze.