Étienne de La Boëtie wurde mit dieser Schrift aus dem 16. Jahrhundert zentraler Wegbereiter heutiger Theorien der individuellen Freiheit. »Dieser Essay verkündigt, was in anderen Sprachen später Godwin und Stirner und Proudhon und Bakunin und Tolstoi sagen werden: In euch sitzt es, es ist nicht draußen; ihr selbst seid es; die Menschen sollen nicht durch Herrschaft gebunden sein, sondern als Brüder verbunden. Ohne Herrschaft; An-Archie.« - Gustav Landauer
La Boétie (1530 bis 1563) entstammte dem niederen Beamtenadel von Sarlat, dem Sitz eines Bistums und Unterzentrum der königlichen Justiz. Er erhielt eine gute Bildung, u.a. auf dem renommierten Collège de Guyenne in Bordeaux, und interessierte sich früh für die klassischen griechischen und lateinischen Autoren. 1548 dürfte er hautnah miterlebt haben, wie, nachdem der neue König Heinrich II. auch in Südwestfrankreich die Salzsteuer eingeführt hatte, dort Revolten ausbrachen und diese durch königliche Truppen blutig niedergeschlagen wurden. Um dieselbe Zeit begann er ein Jurastudium an der Universität von Orléans. Zu seinen Professoren gehörte Anne du Bourg, der einige Jahre später Gerichtsrat (»conseiller«) am Parlement von Paris wurde und dort offen Einspruch gegen die Verfolgung der Protestanten erhob, was ihm 1559 einen Ketzerprozess samt Todesstrafe eintrug und ihn zum Märtyrer machte. Vermutlich war es während seiner Studienzeit, dass La Boétie, sichtlich unter dem Eindruck der genannten Revolten und der Diskussionen im Umfeld Du Bourgs, seinen flammenden Essay »Von der freiwilligen Knechtschaft« verfasste, worin er die These vertritt, dass die Unterdrückung vieler Menschen durch einen einzigen nur solange möglich sei, wie die vielen sich unterwerfen statt sich kollektiv zu widersetzen.