Chile galt lange als das Vorzeigeland Lateinamerikas mit hohen Wirtschaftswachstumszahlen und politischer Stabilität. Aber das neoliberale Wirtschaftsmodell, das Ex-Diktator Pinochet dem Land hinterlassen hat, führte zu einer fast vollständigen Privatisierung der Sozialleistungen und der Konzentration des Vermögens in den Händen einiger weniger.
In der Nacht des 18. Oktober 2019 entlud sich der jahrzehntelang angestaute Unmut der Bevölkerung in Chile. Was aufgrund der Fahrpreiserhöhung der Metro in Santiago um 30 Pesos begann, wurde zu einem nationalen Aufstand. Die Chilen*innen haben die Nase voll von niedrigen Löhnen und Renten, teuren Krankenversicherungen und hohen Studiengebühren. Das neoliberale Wirtschaftsmodell, das während der Pinochet-Diktatur eingeführt wurde, ist an seine Grenzen gestoßen. Die Protestbewegung hat einen historischen Sieg errungen: die Möglichkeit, eine neue Verfassung zu schreiben und das Labor des Neoliberalismus in ein Labor seines Umsturzes zu verwandeln. Auch wenn die Zukunft ungewiss ist, eines ist klar: Chile wird nie wieder dasselbe Land sein wie zuvor.
Sophia Boddenberg lebt seit 2014 in Chile und arbeitet dort als freie Journalistin für verschiedene deutschsprachige Print- und Onlinemedien sowie für den Hörfunk. Sie hat in den letzten Jahren über die sozialen, ökologischen und politischen Konflikte berichtet, die das neoliberale Wirtschaftsmodell in Chile verursacht hat. Den Aufstand, der am 18. Oktober 2019 begann, hat sie von Anfang an begleitet - als Journalistin und als Teilnehmerin.